Politische Erneuerer
Da sich die jüdischen Intellektuellen von der bürgerlichen Revolution auch die völlige Gleichberechtigung der Juden erhofften, kämpften sie an vorderster Front der Revolutionäre von 1848. So war es der jüdische Arzt Adolf Fischhof, der im März 1848 mit seiner Rede im Hof des niederösterreichischen Landhauses (1., Herrengasse) ein Signal für den Revolutionsausbruch gab. Fischhof erhielt ein Ehrengrab in der alten israelitischen Abteilung des Zentralfriedhofs (11., Simmeringer Hauptstraße, 1. Tor), in unmittelbarer Nachbarschaft des Grabs von Salomon Sulzer.
Leistungen in Wissenschaft und Kultur
Mit der Emanzipation im 19. Jahrhundert kam es auch zu einer drastischen Veränderung der Berufs- und Sozialstrukturen des Wiener Judentums, die mit einer verstärkten Assimilation Hand in Hand ging, sodass viele der jüdischen Intellektuellen ihre traditionelle Bindung an das Judentum verloren. Die jüdische Herkunft vieler Wissenschaftler, Künstler und anderer Intellektueller hervorzustreichen ist daher problematisch und gerät leicht in den Verdacht, „Rassenpolitik mit umgekehrten Vorzeichen“ zu betreiben. Die jüdische Herkunft gewinnt ja erst vor dem Hintergrund der Verfolgung alles Jüdischen durch die Nationalsozialisten wieder an Bedeutung. Erst durch „die Vertreibung des Geistigen“ wird bewusst, welch großen Anteil das Judentum an der österreichischen Kultur und Wissenschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. hat. Aus der Vielzahl an Persönlichkeiten können hier nur einige der bekanntesten aus den verschiedenen Bereichen des Kultur- und Geisteslebens angeführt werden. Der Ruhm der Wiener Medizinischen Schule geht beispielsweise zu einem guten Teil auf die Leistungen von Ärzten jüdischer Herkunft zurück: Julius Tandler, Emil Zuckerkandl, Ernst Fuchs, Josef Breuer, Carl Sternberg, Julius Schnitzler, Ludwig W. von Mauthner, Ernst Löwenstein, Robert Bárány, Otto Loewi, David Gruby, Josef Halbans, Adam Politzer, Viktor E. Frankl und Leopold Freund sind nur einige in der Wissenschaft hervorragend klingende Namen - Bárány (1914) und Loewi (1936) wurden für ihre Leistungen sogar mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
Sigmund Freud erschloss mit der Entwicklung der Psychoanalyse neue Methoden zur Erforschung der menschlichen Psyche und zur Behandlung psychischer Störungen, und sein Schüler Alfred Adler entwickelte die Individualpsychologie. Der Rechtslehrer Hans Kelsen ist einer der wichtigsten Vertreter des Rechtspositivismus und Schöpfer der österreichischen Verfassung. Im naturwissenschaftlichen Bereich sind Siegfried Marcus als Erfinder des Automobils, als Physiker Lise Meitner, Wolfgang Pauli (Nobelpreis 1945) und Felix Ehrenhaft, als Biochemiker Max F. Perutz (Nobelpreis 1962), als Botaniker Julius von Wiesner, als Chemiker Fritz Feigl, Leo Grünhut, Edmund von Lippmann und Otto von Fürth und als Astronom Samuel Oppenheim beispielhaft zu erwähnen.
Besonders eindrucksvoll ist der Beitrag der Wiener Juden zur Musik, zu Literatur und Presse, zu bildender und darstellender Kunst des ausgehenden 19. und der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Am Aufbruch Wiens in die Moderne waren die Wiener Juden sowohl auf Seiten der Förderer und Auftraggeber als auch als Kulturschaffende engagiert: In den Salons des jüdischen Großbürgertums fanden die Künstler das geeignete Forum für ihre neuen Ideen, hier erhielten die Designer der Wiener Werkstätte und die Jugendstilarchitekten einen erheblichen Teil ihrer Aufträge. Im Salon Berta Zuckerkandls wurde zum Beispiel die Idee zur Gründung und zum Bau der Wiener Secession geboren.
Das gilt auch für Publizisten wie Egon Friedell, Karl Ausch, Friedrich Austerlitz oder Anton Kuh, für Philosophen wie Ludwig Wittgenstein, Karl Popper, Martin Buber, Josef Popper-Linkeus, für Kabarettisten wie Karl Farkas, Fritz Grünbaum, Hermann Leopoldi oder Hugo Wiener, für Regisseure wie Max Reinhardt, Fritz Kortner oder Leopold Lindtberg. Einige gerieten durch die Verfolgung in Vergessenheit, andere konnten so sie den NS-Terror überlebten ihre Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen. Manche machten erst in der Emigration die große Karriere wie Billy Wilder, Fred Zinnemann oder Otto Preminger, die zu Synonymen für den erfolgreichen Hollywood-Film wurden.
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